Mama ist tot...

Meistens saß ich bei der Arbeit in der Werkstätte an der Nähmaschine. Nur wenn niemand sonst da war, der die Kommissioniertätigkeit machen konnte, saß ich am PC, druckte Aufträge aus, machte Rückmeldungen oder kommissionierte aus dem Handlager und verpackte und frankierte die Pakete.

 

Schon Wochenlang hatte ich immer dann, wenn ich aufstand, Schmerzen im linken Knie. Nach ein paar Schritten vergingen diese meistens wieder. Dann, Anfang Dezember 2021, wurde es so schlimm, dass ich überhaupt nur noch unter Schmerzen gehen konnte. Wir hatten zwar jede Menge Arbeit und die Inventur stand bevor, aber ich konnte nicht mehr. 

 

Am 10. Dezember hatte ich morgens beim Aufstehen wieder solche Schmerzen, dass ich beschloss, zum Arzt zu gehen. Schon am Tag vorher, war ich deshalb zu Hause geblieben. Ich rief beim Orthopäden an, bekam aber erst in der Woche darauf einen Termin. Deshalb humpelte ich zu meiner Hausärztin, die mich krank schrieb. Sie verschrieb mir auch Schmerzmittel, vergaß aber, mir eine Überweisung zum Orthopäden mitzugeben. 

 

Beim Orthopäden wurde dann eine Roentgenaufnahme und ein Ultraschall gemacht. Er vermutete einen Außenmeniskushinterhornriss und schrieb mir eine Überweisung zum MRT.

 

Einen Termin für das MRT habe ich dann auch auf Nachfrage, bei allen drei Radiologiepraxen in Karlsruhe, erst zum 13. Januar bekommen. Meine Tochter wollte mich fahren. Den Tag darauf musste ich zum Psychiater und am 17. Januar hatte ich einen Besprechungstermin beim Orthopäden. Am 14. und 17. hatte ich niemanden, der mich fuhr.

 

Bis zum 17. Januar war ich von der Hausärztin krank geschrieben. Ich dachte, diese Erkrankung zöge wieder finanzielle Einbußen nach sich, denn nach sechs Wochen werden die Zahlungen von der Werkstätte eingestellt. Man bekommt dann auch kein Krankengeld, wenn man berentet ist. Wenigstens hatte ich nun mit 60 Anspruch auf eine Rentnerkarte für die Öffis, wo ich ab Februar nur noch 49 Euro bezahlen musste.

 

Ich dachte, es würde auf eine Operation hinauslaufen. Mit diesen Schmerzen konnte ich nicht arbeiten. Ich saß nur noch zu Hause herum. Das war zwar für den Moment besser, weil ich nicht viel laufen musste, aber wenn ich wieder mehr ging, wurde es wieder schlimmer.

 

Was Corona betrifft, waren wir in der fünften Welle. Die vierte Welle mit der Deltavariante war noch nicht richtig überstanden, da kündigte sich schon die Omikronvariante an, wo die Impfungen nicht so gut wirkten. Schon bei Delta wirkten die ersten beiden Impfungen nicht richtig. Ich hatte inzwischen beide Grundimmunisierungen und eine Auffrischimpfung. Kinder ab 5 Jahren durften nun geimpft werden. Ich wusste nicht, ob ich bei diesen hohen Infektionszahlen überhaupt einen Operationstermin bekäme, wenn ich einen brauchen sollte.

 

Es erkrankten so viele Leute, obwohl sie geimpft waren!

 

Die Weihnachtsfeiertage, mein 60. Geburtstag und Silvester waren dementsprechend nicht sehr schön. Am 24. hatte mich eigentlich meine Mutter zum essen mit der Familie meines Bruders eingeladen. Meine Tochter fuhr mich hin, weil ich nicht gut laufen konnte. Ich hatte vorher überlegt, nicht hin zu gehen. Als ich dann ankam und über meine Schmerzen klagte, schrie mich meine Mutter an, ich solle mich zusammenreißen und ich würde mich nur noch gehen lassen. Ich hätte mich eine Woche lang nicht blicken lassen. Sie hätte auch Schmerzen und hätte immer arbeiten müssen.

 

Sie war so wütend, weil ich ihr für meinen Bruder eine Flasche Hochprozentiges als  Geburtstagsgeschenk hätte besorgen sollen. Sein Geburtstag ist am 23. Dezember. Ich war aber krank geschrieben und konnte eben nicht gut laufen. Also hatte ich zu ihr gesagt, ich würde ihr etwas für ihn bestellen und zu ihr schicken lassen, was sie dann aber ablehnte. Ich konnte da beim besten Willen nicht noch mal zum Supermarkt laufen. Die ganze Zeit schon, hatten meine Kinder für mich eingekauft.

 

Meine Tochter fuhr mich dann wieder nach Hause. Seit da hatte ich nicht mehr mit meiner Mutter geredet. Sie rief mich an meinem Geburtstag auch nicht an, sondern ließ von meiner Schwägerin eine unverpackte Schachtel Mon Cherie mit 100 Euro bringen. Das Geschenk wollte ich ihr an ihrem Geburtstag im Februar einfach zurückschenken.

 

Zum 26. Dezember, meinen 60sten Geburtstag, hatte ich die Kinder mit ihren Partnern zum Mittagessen eingeladen. Deshalb hatte ich am 25. schon einiges vorzubereiten, was nur ging, indem ich mich zwischendurch immer wieder hinsetzte und den Fuß hochlegte.

 

Eigentlich hatte ich vorgehabt, die ganze Familie am 2. Januar zum Essen in ein Restaurant einzuladen, aber ich hatte schon vor meiner Erkrankung Bedenken, dass sich jemand ansteckt und die Coronaverordnungen waren nun auch so, dass sich nur noch 10 Leute in Restaurants treffen durften und auch trotzdem getestet sein mussten. Ich plante dann das Essen für den Sommer, weil ich dachte, da würden die Zahlen bestimmt nicht so hoch sein und man könnte sich auch ins Freie setzen.

 

An Silvester war ich alleine. Ich ging schon um 22 Uhr ins Bett und wachte dann um 24 Uhr auf, weil mein Sohn anrief. Ich setzte mich mit einem Glas Hugo vor den Fernseher und schaute eine Sendung mit alten Songs von Abba. Um 1.30 Uhr ging ich wieder schlafen. Das war der Beginn meines Jahres 2022...

 

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Meiner Mutter ging es einige Zeit nach unserem Streit immer schlechter. Man fand dann anhand der Blutwerte heraus, dass sie wohl innerliche Blutungen hatte. Sie musste Anfang Februar 2022 in sehr hinfälligem Zustand in die Klinik. Zu dem Zeitpunkt redete ich immer noch nicht mit ihr. Ich war seit dem 24. Dezember nicht mehr bei ihr gewesen.

 

In der Klinik wurde nach ein paar Tagen eine Magenspiegelung und einen Tag später eine Darmspiegelung durchgeführt. Bei der Magenspiegelung wurde ein kleines Magengeschwür festgestellt, das aber keinen so massiven Blutverlust hätte auslösen können. Auch bei der Darmspiegelung wurde außer zwei kleinen Polypen nichts gefunden. Diese wurden sofort entfernt. Zum Glück überwand ich zu diesem Zeitpunkt meinen Ärger auf Mama, und telefonierte mit ihr. Sie sagte, sie sei mir nicht böse.

 

Am nächsten Tag sollte sie eigentlich nach Hause entlassen werden. Morgens stiegen aber die Entzündungswerte massiv an. Bei einem MRT wurde ein Loch im Darm festgestellt, an der Stelle, wo der kleinere Polyp saß. Es erfolgte eine Not-OP, wo ein Stück Darm entfernt werden musste und ein temporärer, künstlicher Darmausgang gelegt wurde. Mehrere Tage kämpfte unsere Mutter auf der Intensivstation mit dem Tod. Wegen Corona und meinem Knieproblem war es schwierig, sie zu besuchen, aber am Telefon konnte man sie kaum verstehen. Sie musste dann ihren 89. Geburtstag auf der Intensivstation verbringen. Meine Schwester brachte ihr und den Pflegern einen Kuchen. Sie konnte aber natürlich nicht viel essen.

 

Nach einiger Zeit ging es ihr etwas besser und sie wurde auf eine Normalstation verlegt. Der künstliche Ausgang machte aber Probleme. Ständig platzten die Stomabeutel und sie hatte sehr dünnen und häufigen Stuhlgang, was bei einem Ileostoma, wie wir später erfuhren, oft vorkommt. Deshalb sollte sie nach dem Klinikaufenthalt erst mal zur Nachsorge in ein Pflegeheim. 

 

Eine frühere Klassenkameradin warnte mich vor diesem Pflegeheim. Es hätte keinen guten Ruf und würde nächstes Jahr sowieso wegen Renovierung geschlossen. Leider war in der kurzen Zeit kein anderer Platz zu finden. Die Versorgung dort war dann auch alles andere als gut und unsere Mutter, die vom Wesen her selbst nicht einfach war, wollte nicht mehr dort bleiben. Das Ileostoma hatte sich total entzündet und die Versorgung klappte kaum noch.

 

Nach nicht einmal zwei Wochen holte sie unser Bruder nach Hause. Er hatte den  Pflegedienst der Diakonie organisiert. Die Leute vom Pflegedienst bekamen das mit den Stomabeuteln, die vorher immer abgeplatzt waren zwar in den Griff, aber der Stuhlgang war immer noch so dünnflüssig, dass unsere Mutter buchstäblich innerlich austrocknete. Nach etwa zwei Wochen versagten ihre Nieren und sie musste erneut in die Klinik, wo die Nieren mit Hilfe von Infusionen wieder in Gang gebracht werden konnten. 

 

Da es so nicht weiter gehen konnte, wurde der künstliche Darmausgang schon nach fünf Wochen wieder zurückverlegt. Nach einiger Zeit durfte sie wieder nach Hause und fühlte sich erst mal besser.

 

Leider hatten sich bei der OP Darmbakterien ausgebreitet, die vor allem die Wunde infiziert hatten. Nach einigen Tagen platzte die Naht der Wunde auf und unsere Mutter musste schon wieder in die Klinik. Dort wurde die Wunde alle drei Tage mit einem neuen antibakteriellen Schwämmchen und einer Ableitungspumpe versorgt, bis die Entzündung einigermaßen zurückgegangen war. Die Naht blieb nun offen und wurde dann täglich mit neuem Verband versorgt. Unsere Mutter durfte wieder nach Hause.

 

Am 18.05.2022, ging es ihr wieder so schlecht, dass sie erneut in die Klinik musste. Der Arzt hatte bei einer Blutuntersuchung schon wieder einen sehr niedrigen HB-Wert festgestellt. Es liefen Untersuchungen, um festzustellen, woran ihr schlechter Allgemeinzustand lag. Sie vermuteten, es könnte daran liegen, dass ihre Nieren kein EPO mehr produzierten, was bei alten Menschen wohl vorkommt. 

 

Es war schmerzhaft, beim unweigerlichen Verfall eines Menschen zusehen zu müssen...

 

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Mein Knie wurde nicht operiert. Ich hatte nach dem MRT den Orthopäden gewechselt, weil ich mit der Behandlung unzufrieden war. Die Orthopädin, bei der ich dann war, schickte mich zuerst zur Physio und danach in die Klinik. Ich sollte mich wegen einem OP-Termin vorstellen. 

 

Es war dieselbe Klinik, wo ich schon vorher mit beiden Knien war. Der untersuchende Arzt schaute sich die MRT-Bilder an und ließ nochmals ein Roentgenbild machen. Beim MRT war ein erneuter Meniskusriss und ein Erguss im Knie festgestellt worden. Nun erklärte er mir, dass ich wohl leichte O-Beine hätte, die so etwas immer wieder auslösen und eine Arthroskopie somit nichts bringe. Höchstens eine Achsumstellung der Knie würde da etwas bringen, aber das sei eine ziemlich umfangreiche und schwierige OP. Er holte den Oberarzt, besprach alles mit ihm und beide rieten von einer OP ab.

 

Anstelle eines chirurgischen Eingriffes, wurde mir dann eine OA-Orthese verordnet, die neben manueller Therapie und Physioübungen den Schmerz erträglich gemacht hat. Allerdings humpelte ich zeitweise immer noch und als es warm wurde, war es schon sehr anstrengend, immer diese enge Orthese zu tragen. Auch schwoll zeitweise bis Abends mein Knöchel an, wenn ich bei der Arbeit lange saß und den Fuß kaum bewegte.

 

Das war aber alles noch besser, als bei jedem Schritt diese stechenden Schmerzen ertragen zu müssen. Der Klinikarzt wies mich darauf hin, dass ich irgendwann wohl ein künstliches Kniegelenk brauchen werde. Die Aussicht darauf macht mir jetzt schon Angst...

 

Ich hätte so gerne mal wieder eine längere Wanderung gemacht... Ging nicht!

 

Eine positive Veränderung gab es:

 

Nachdem mir die Ärzte gesagt hatten, dass mein Gewicht eine große Rolle bezüglich meiner Schmerzen spielt und auch schon meine Hausärztin wegen meinem Blutdruck zu einer Gewichtsreduktion geraten hatte, nahm ich seit Ende Januar 2022 mit Hilfe einer Kalorienzählapp übers Handy ab.

 

Zum 21.05.2022 hatte ich schon über 12 Kilo abgenommen und wollte noch weitere 20 Kilo reduzieren. Das sollte etwa ein Jahr dauern. Dann würde ich 72 Kilo wiegen. Es klappte recht gut. Das größte Problem würde sein, später das Gewicht auch zu halten.

 

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Am 09. Juli 2022 starb unsere Mutter im Alter von 89 Jahren nach längerem Leiden und zuletzt mehreren Klinikaufenthalten.

 

Ich hatte bereits berichtet, was alles passiert war. Natürlich war unsere Mutter ein schon sehr alter und schwacher Mensch, aber Einiges hätte wirklich nicht passieren dürfen. Nur machte es wenig Sinn, sich mit einer Klinik und einem Pflegeheim zu streiten. Man sitzt leider immer am kürzeren Hebel.

 

Sie konnte schon länger nicht mehr alleine duschen. Morgens kam regelmäßig der Pflegedienst, aber von diesem wollte sie nicht geduscht werden. Als meine Schwester im Frühjahr noch da war, half sie ihr, aber sie war nun leider für fast drei Monate in der Türkei. Also fuhr ich nach der Arbeit alle zwei Tage zu meiner Mutter, die mit der Familie meines Bruders zusammen das Haus bewohnte; fragte, was man tun soll, und half ihr auch beim Duschen. Waschen wollte sie sich aber immer selbst. Ich durfte ihr nur den Rücken abschrubben, sie abtrocknen und beim anziehen helfen. Sie kam auch nicht mehr alleine in die Dusche hinein.

 

Etwa eine Woche vor ihrem Tod wurde ihr Zustand ernster. Sie konnte wegen Wasser in den Beinen schon längere Zeit kaum noch laufen, bekam schwarzen Durchfall und blutete. Ich half ihr beim Duschen, richtete ihr Essen und wusch immer wieder Kleidung, Handtücher, Bettwäsche und die Badezimmergarnitur. Wir holten ihren Hausarzt, aber sie wollte nicht mehr in die Klinik.

 

Gegen Mitte der Woche fand ich, dass man sie nicht mehr alleine lassen könnte. Mein Bruder hatte dringende Termine bei der Arbeit. Als ich ihn Donnerstagmorgens über WhatsApp kontaktierte, meinte er, er hätte ihr das Frühstück hingestellt, aber sie hätte noch geschlafen. Da es ihr Mittwochnachmittags schon so schlecht gegangen war, dass sie kaum aus dem Bett kam, beschloss ich, nicht zur Arbeit zu gehen und fuhr zu ihr hin. Sie konnte ja nichts mehr zu essen für sich machen.

 

Sie wurde dann wach und aß auch etwas, aber im Lauf des Vormittags merkte ich, dass sie mich mit meiner Schwägerin verwechselte. Sie fragte mich, ob die Kinder schon wach seien und ich sollte doch hoch gehen zu ihnen. Mit Müh und Not konnte sie ins Bad und sich ein wenig frisch machen. Später kam der Pflegedienst, konnte aber nicht viel machen. Ich hatte vom Bäcker eine Brezel und ein Brötchen mitgebracht. Das Brötchen blieb das Einzige, was sie dann Mittags an diesem Tag essen wollte. Als mein Bruder von der Arbeit kam, fuhr ich nach Hause.

 

Ich hatte Donnerstags bei der Arbeit angerufen und meine Gruppenleiterin wollte eine Krankmeldung. Deshalb versuchte ich, bei meinem Hausarzt gleich für Freitagmorgen einen Termin zu bekommen, aber ich bekam erst gegen Mittag einen.

 

Als ich dann zu meiner Mutter kam, lag sie mit offenen Augen im Bett, schaute leer an die Decke und atmete laut und schnarrend, ohne zu reagieren. Sie kam auch nicht zu sich, als ich sie an der Schulter und an der Hand berührte. Das Frühstück, das ihr mein Bruder hingestellt hatte, stand unberührt da. Sie war eindeutig nicht mehr ansprechbar, aber ich hoffte erst mal, dass sich ihr Zustand vielleicht doch noch bessern würde. Wurde er aber nicht!

 

Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen, als ihren Hausarzt anzurufen, der versprach, in seiner Mittagspause vorbei zu kommen, als er hörte, dass sie nicht mehr ansprechbar war. Meine Schwägerin kam runter und sagte, sie würde meinen Bruder anrufen, müsste dann aber die Kinder in den Kindergarten bringen und gegen Mittag mit der Katze zum Tierarzt. Etwas später rief mich dann mein Bruder an und meinte, er hätte ebenfalls den Hausarzt kontaktiert. Er würde so schnell wie möglich von der Arbeit nach Hause kommen. Er hätte eine Palliativschwester der Diakonie bestellt, die ebenfalls gegen Mittag kommen wollte.

 

Als meine Schwägerin zurück kam, rief sie für mich bei meinem Hausarzt an und sagte meinen Termin ab. Ich konnte da nicht hin. Mehr als Mamas Hand zu halten, konnte ich aber auch nicht tun. Gegen Mittag kamen dann alle, auch der Pflegedienst. Meine Mutter bekam ein hinten aufgeschnittenes Nachthemd an, damit man sie besser pflegen konnte und der Pflegedienst und die Palliativschwester machten sie frisch. Der Arzt sagte meinem Bruder, er könne ihr alle vier Stunden Morphium spritzen, damit sie nicht unruhig würde.

 

Als der Arzt weg war, kam meine Schwägerin von der Apotheke mit einigen Sachen. Die Palliativschwester konnte unserer Mutter einen Blasenkatheder legen. Es war damit zu rechnen, dass sie nicht mehr lange leben würde und so riefen wir die Familie an, ob es ihnen möglich sei, Nachmittags vorbei zu kommen, um sie nochmals zu sehen. Die Pfarrerin würde die Einsegnung vornehmen. Bei der Einsegnung waren auch die kleinen Kinder meines Bruders dabei. Ich fand das nicht gut, aber sowohl die Palliativschwester, als auch die Pfarrerin hatten das befürwortet. Besonders mein sechsjähriger Neffe schien etwas verängstigt zu sein, obwohl er sagte, er denke, die Oma würde einschlafen und dann in den Himmel zum Opa gehen.

 

Als die Pfarrerin schon weg war, kam der ältere Sohn meiner Schwester, der zu der Zeit an Corona erkrankt war. Er hatte eine FFP2-Maske auf, fasste nichts an und ging dann auch bald wieder. Erst später nach ihrer Arbeit, kamen der zweite Sohn meiner Schwester und meine Kinder, um ihre Oma nochmals zu sehen.

 

Die Palliativschwester kam Abends nochmals, aber da war ich dann schon zu Hause. Mein Bruder übernachtete im Wohnzimmer auf der Couch, damit er regelmäßig das Morphium spritzen und nach unserer Mutter schauen konnte.

 

Als ich dann am Samstagmorgen hinkam, war die Lage unverändert. Sie lag immer noch mit offenen Augen und rasselndem Atem, ohne jegliche Reaktion im Bett. Nur ab und zu versuchte sie, sich ins Gesicht zu fassen, oder verzog leicht das Gesicht. Ich setzte mich wieder zu ihr und hielt ihre Hand.

 

Etwa um 13 Uhr kam die Palliativschwester und mein Bruder half ihr, unsere Mutter zu waschen. Sie wollten sie auf die Seite legen und ihr die nächste Dosis an Morphium geben, als sie begann unruhig zu werden und in längeren Abständen ein paarmal unregelmäßig und lauter zu atmen. Ich nahm ihre Hand, die Schwester streichelte ihre Wange und mein Bruder stand auf der anderen Seite und hielt ihre Schulter. Die Schwester meinte zu meinem Bruder, sie glaube, es sei nicht mehr nötig und sagte leise zu ihr, „Frau K. … lassen sie los...!, als sie dann ihren letzten Atemzug tat. Es war etwa 14.10 Uhr.

 

Der Pflegedienst und die Schwestern waren sehr fürsorglich und sprachen die ganze Zeit während sie in ihren letzten Stunden da lag immer mit unserer Mutter, als ob sie alles mitbekommen würde. Man weiß es nicht... vielleicht hat sie ja auch tatsächlich alles noch mitbekommen und schien nur so abwesend zu sein.

 

Jedenfalls waren wir gleichzeitig entsetzt aber auch erleichtert, als es vorbei war. Mein Bruder und die Schwester wuschen unsere Mutter und ich half der Schwester, das Kinn unserer Mutter hochzubinden und das Bett zu richten. Später, als die anderen im Hof saßen, räumte ich ein wenig auf, denn es lag noch einiges herum, das man vorher gebraucht hatte.

 

Ich blieb noch eine Weile da, wollte aber dann nicht abwarten bis der Arzt kam um den Tod festzustellen und fuhr nach Hause. In dieser Nacht konnte ich keine Sekunde schlafen und fühlte mich die ganze Zeit, als läge ich wie sie im Bett im Sterben und würde alles mitbekommen.

 

Sie wurde noch an diesem Abend nach dem Besuch des Arztes vom Beerdigungsinstitut abgeholt. Wir sahen sie dann nicht mehr. Meiner Schwester hatte ich ein Bild geschickt, wie sie auf dem Totenbett aussah, damit sie sie auch noch mal sehen konnte. Sie kam dann Dienstags von der Türkei zurück, Mittwochs hatten wir das Gespräch mit dem Beerdigungsunternehmer und Freitags sprachen wir mit dem Pfarrer wegen der Beerdigung.

 

Am 22. Juli fand die Trauerfeier in der Kapelle vom Friedhof und die Urnenbestattung in einem Wiesenreihenurnengrab statt, wie es sich unsere Mutter gewünscht hatte. Es war eine kleine Bestattung, da wir die Todesanzeige erst hinterher veröffentlich haben. Nur Familie, ein paar Nachbarn und Freunde.

 

Ich war gleich nach ihrem Tod, am darauffolgenden Montag wieder zur Arbeit gegangen, was im Nachhinein gesehen wohl am Besten war. Nach etwa zwei Wochen ging es mir wieder so weit gut, auch wenn ab und zu noch die Erinnerung an ihr Sterben kommt und ich bin eigentlich froh, dass nun alles vorüber ist. Unsere Mutter wollte ja wegen ihren gesundheitlichen Problemen schon die ganze Zeit nicht mehr leben. Nun hatte sie ihren Willen.

 

Mein Bruder räumte ihre Wohnung schnell weitestgehend aus um umzubauen und anschließend das ganze Haus für seine Familie zu nutzen. Haushaltsutensilien und Möbel wurden verkauft, oder unter uns Kindern aufgeteilt. Höherpreisige Sachwerte waren nicht da. Sie hatte nur noch etwas Geld auf dem Konto. Wir mussten abwarten, bis wir einen Erbschein bekamen, was Monate dauerte.