Kirchenaustritt

 

06.01.2018

  

 

Mein Medikament wirkte immer noch ganz gut. Die Stimmen waren nur zu hören, wenn ich an sie dachte und dann auch nur sehr leise. Paranoia? ... Na ja... Gerade im Moment, wenn ich Urlaub hatte und viel alleine war, dachte ich ab und zu schon, dass Leute die real Gespräche führten (zB. im Hausflur oder auf der Straße) über mich redeten oder lachen könnten, wobei ich aber eigentlich sicher war, dass sie nicht wirklich mich meinten. Solche Eindrücke, drückten dann in dem Moment schon etwas die Stimmung. Wenn ich dann wieder mehr Kontakt zu Menschen hatte und sah, dass sie mir gegenüber eben doch nicht so negativ eingestellt waren, löste sich dies auf. Dabei halfen mir die sozialen Kontakte in der WfbM sehr! Richtige Depressionen wie früher, plagten mich schon seit langem nicht mehr.

 

Ich war inzwischen bei einem neuen Psychiater in Behandlung. Die Behandlung beschränkte sich allerdings hauptsächlich auf die Verschreibung von Medikamenten, da sich irgendwie kaum mal Gesprächsthemen ergaben, was sicher zu bedeuten hatte, dass er mich für relativ gesund hielt. Mein Prolaktinspiegel war immer noch zu hoch und ich war kognitiv oft etwas eingeschränkt, was bedeutete, dass mein Gedächtnis ab und zu lückenhaft war und dass mir manchmal die richtigen Worte fehlten. Meistens war ich trotzdem glücklich und ausgeglichen.

 

Was die Symptome anging, war ich absolut sicher, dass sie sich innerhalb absehbarer Zeit wieder verstärken würden, wenn ich die Dosis reduzierte. Dies war schon mehrfach der Fall gewesen.

 

Meinen Kindern, die inzwischen 23 und 26 Jahre alt waren, ging es gut. Meine Tochter arbeitete als Groß- und Außenhandelskauffrau und mein Sohn arbeitete immer noch an seiner alten Stelle als Fachinformatiker. Ich war sicher, dass er viel mehr verdienen könnte, wenn er sich woanders bewerben würde, aber die Arbeit dort gefiel ihm nun mal. Mir ist es vor allem wichtig, dass es ihnen gut geht. Ich bin schon froh, wenn sie meine verdammte Krankheit nicht trifft.

 

Im Oktober starb Rennmaus Hermine. Sie war zweieinhalb Jahre alt und lag einfach tot im Häuschen. Das ist zwar sehr traurig, aber es ist ein einigermaßen normales Alter für Rennmäuse. Nun kann ich das gesamte Gehege für Frederike nutzen, die ja schon am Anfang von Hermine dermaßen zerfleddert worden war, dass die Gefahr bestand, sie würde sterben.Sie mussten getrennt werden. Ich konnte es nun durch die größere Länge auch viel schöner einrichten. Hoffentlich kann Frederike ihr Leben noch recht lange genießen.

 

Das Außergewöhnlichste in diesem Jahr war wohl mein Kirchenaustritt im August. Ich hatte mir schon lange Jahre Gedanken darüber gemacht, ob es nicht besser wäre auszutreten, da ich überhaupt nicht an Gott oder Jesus glaubte. Finanziell hatte ich nichts davon, aber nicht erst seit meiner traumatischen Erfahrung bei der Konfirmation haderte ich stark mit der Kirche, denn eigentlich konnte ich das ganze Gedöns schon vorher nicht glauben. 

 

Seit ich Stimmen höre, habe ich wenigstens überhaupt den Gedanken, dass es tatsächlich noch etwas außer unserer materiellen Welt geben könnte. Aber bei dem was schon immer passierte und auch weiterhin passieren wird, kann es keinen allmächtigen und gütigen Gott geben, der für alles sorgt. Es ist einfach nur die Natur und somit unser Ökosystem, die hier Macht ausüben. 

 

Aber vielleicht könnte man Stimmen und sonstige Wahrnehmungen (sog. Halluzinationen) in dieses System integrieren...

 

Könnte es nicht einfach eine natürliche aber eben körperlose Lebensform sein, die symbiotisch oder parasitisch mit den anderen Lebewesen hier auf der Erde coexistiert und versucht uns zu beeinflussen? Möglich wäre auch, dass der alte Gedanke von der Seelenwanderung stimmt. Dass also Verstorbene eine Weile körperlos verweilen, bis sie sich reinkarnieren. Da alles in der Natur auf Kreisläufen beruht, könnte es sein, dass die Seelen von allen Lebewesen immer wieder solche Kreisläufe durchwandern. 

 

Theoretisch könnte sein, dass manche Menschen diese Wesenheiten aus irgend einem Grund bemerken (wahrscheinlich bedingt durch krankhafte Veränderungen oder Fehlsteuerungen im Gehirn) und mit anderen die organisch gesund sind, leben sie völlig unbemerkt zusammen und beeinflussen sie unbewusst.

 

Dass die Medikamente bei vielen wirken, bestätigt für mich als Ursache irgend eine krankhafte Veränderung in unserem Gehirn, die durch die Medikamente reguliert werden kann. Wir können die eigene Wahrnehmung dieser Wesen herunterdimmen, aber sie verschwinden nicht wirklich. Auch traumabedingte Auswirkungen auf den Gehirnstoffwechsel wären als Auslöser möglich. Nur als Halluzination kann ich sie durch all das was ich mit ihnen erlebt habe nicht abtun. Sie sind einfach zu real...

 

Wissenschaftlich lässt sich so etwas bisher zwar nicht beweisen, aber vielleicht  irgendwann in der Zukunft...?

 

Wir Kranke erleben die Stimmen oder auch optische Wahrnehmungen meistens uns gegenüber als böse und ablehnend. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie gegen uns sind weil etwas mit uns nicht stimmt ... vielleicht eben weil sie selbst Teil dieses Systems sind und durch uns menschliche Körperwesen irgendwie geschädigt werden? ... eben weil die Natur durch die Menschheit an sich geschädigt wird?

 

Ich möchte aber nicht zu sehr darüber spekulieren, denn die meisten werden solche Vermutungen sowieso nur als Teil eines Wahns sehen, der bei einer Erkrankung wie Schizophrenie eben auftritt. Nur ist es wahrscheinlich so, dass man sich mit solch einer Belastung einfach ein alternatives Weltbild zurechtlegen muss um damit wenigstens einigermaßen  klar zu kommen. Die wissenschaftliche Sicht dieser Dinge allein, lässt einen nämlich hilflos zurück, wenn die Tabletten nicht helfen.