Realschule

 

Meine Eltern kümmerten sich nie viel um Schule. Selbst schlechte Noten führten nicht zu Restriktionen. Allerdings bekam ich in der Grundschule einmal einen Brief mit nach Hause, weil ich die Unterschrift meines Vaters unter einer Mathearbeit gefälscht hatte. Es war wieder mal eine fünf oder sechs gewesen und ich wollte meinem Vater die Arbeit nicht zeigen, weil ich mich dafür schämte. Zuhause bekam ich eine schlimme Standpauke und in der Schule eine sehr nervige Strafarbeit von der Lehrerin. Das Schlimmste war aber, dass sie mich vor der ganzen Klasse rügte und als Betrügerin bezeichnete. Ich hatte vorher nicht bedacht, dass so etwas solche Auswirkungen haben könnte.

 

Ich war allgemein eine ziemlich mittelmäßige Schülerin. Sehr gut war ich in Biologie, Handarbeiten und Kunst, schlecht in Mathe. An Mathe liebte ich nur Geometrie, weil man da zeichnen durfte. Alle anderen Fächer waren wie gesagt mittelmäßig; so zwischen Zwei und Vier. Deutsch liebte ich eigentlich und ich schrieb gute Aufsätze, aber ich machte mir meine Erfolge durch die Nichtbeherrschung der Kommaregeln zunichte, die immer wieder schlechte Noten verursachten. Religion hasste ich nur, weil wir da den Pfarrer als Lehrer hatten und ständig irgend etwas auswendig lernen mussten, was ich auch nicht beherrschte. Es war mir ein Buch mit sieben Siegeln, wie man sich einen Liedtext oder einen Psalm merken könnte. Weil ich in Mathe so schlecht war, bekam ich im vierten Schuljahr nur eine Empfehlung für die Hauptschule, wo ich dann auch noch in der fünften Klasse blieb. Allerdings wechselten dann sehr viele doch noch auf die Realschule. Da B., meine beste Freundin darunter war, wollte ich es auch versuchen. Meinen Eltern war es wieder mal egal.

 

Da ich in Mathe und auch im ersten Jahr Englisch auf der Hauptschule ziemlich schlecht war, musste ich für den Übertritt eine Prüfung ablegen. In Englisch war ich sogar in den B-Kurs versetzt worden, wo man zwar noch mit dem A-Kurs zusammen Unterricht hatte, aber keine Noten bekam, nicht mehr aufgerufen wurde und deshalb nur wenig Aussicht darauf bestand, irgendwann einmal wirklich die englische Sprache zu beherrschen. Ich denke, mein Problem in der Grundschule war, dass ich die Grundzüge des Lernens nicht beherrschte. Ich meine mich zu erinnern, dass ich vor Arbeiten nie gelernt habe. Vokabeln lernen war für mich ein Fremdwort. Zuhause kümmerte das Keinen. Einmal hatte meine Mutter mit mir Mathe lernen wollen. Es ging um das Dividieren. Da wir es in der Schule auf eine andere Art gezeigt bekommen hatten, als die altertümliche Methode, die meine Mutter mir beibringen wollte, bekam ich Panik. Daraufhin brüllte sie mich an, dass ich es gefälligst so zu machen hätte, wie sie es sagte. Als ich dann heulte, knallte sie mir eine, ließ mich sitzen und machte nie wieder Anstalten, mit mir lernen zu wollen.

 

Ich meldete mich mich zur Realschulprüfung an. Leider vergaß ich den Termin, bis eines Nachmittags meine beste Freundin B. bei mir ankam und mich fragte, ob ich denn fertig sei, damit wir zu der Prüfung gehen könnten. Meine Mutter war nicht da, ich hatte keinen Schimmer gehabt und dachte nur „so ein Mist“, kramte ein einigermaßen ansehnliches Kleidchen aus dem Wandschrank im Treppenhaus, zog es über und wir gingen los. Unterwegs stellte ich fest, dass darunter eigentlich ein Unterkleid gehört hätte und es nun doch recht durchsichtig war. Ungewaschen war ich sowieso... Aber egal....

 

Die Prüfung, die in einem Klassenraum der Hauptschule stattfand, verlief recht gut für mich. Die Realschule und das Gymnasium, die sich in einem anderen Gebäude befanden, waren gerade in diesem Jahr fertig geworden und sehr modern. Es gab dort sogar Fahrstühle. Alles war in ein Schulzentrum umgewandelt worden. Nun war der Andrang auf die Realschule und das Gymnasium groß, weil man nicht mehr in die Stadt fahren musste.

 

Während der schriftlichen Prüfung wollte ich einem Jungen helfen, der zitternd neben mir saß und offensichtlich gar nichts mehr wusste. Er hieß K. und ich ließ ihn von meinem Blatt spicken. Er war in einer Parallelklasse und ich hatte ihn vorher schon ein paar mal gesehen. Er schaffte die Prüfung nicht... Jahrzehnte später sah ich ihn in der Psychiatrie wieder. Ich hörte zuerst nur eine Schwester seinen Namen sagen. Als ich ihn anschaute, erkannte ich ihn wieder. Ich sagte aber nichts zu ihm. Er erkannte mich anscheinend nicht. Er war auch wegen einer Psychose in der Klinik.

 

In der mündlichen Prüfung wurde ich von einem Lehrer befragt, der anscheinend merkte, wie wichtig es mir war, weiterzukommen. Den Hauptgrund, nämlich dass ich weiter mit meiner Freundin in die Schule gehen wollte, erkannte er natürlich nicht. B. schaffte es leider nicht. Sie hatte panische Angst vor ihren Eltern, weil diese sehr viel Wert auf eine höhere Schulbildung legten. Vielleicht hat ihr genau das die Prüfung verhagelt.

 

Ich war danach aber doch sehr glücklich der verhassten Hauptschule entronnen zu sein. Vor allem erhielt ich endlich Anregungen, wie man richtig lernt und ich setzte dies auch einigermaßen um. Nur Mathe, Chemie und Physik, also alles was mit Zahlen und Formeln zu tun hatte, mochte ich trotzdem nie. Ich hatte auch ziemlich schnell Kontakt zu vier anderen Mädchen, die aber ein Jahr jünger waren als ich, weil die, die erst nach der fünften Klasse wechselten, das erste Jahr der Realschule noch mal mitmachen mussten. Die Freundschaft zu B. verlor sich mit der Zeit, denn wir durften in der Pause nicht mehr auf denselben Schulhof. Sie zog dann auch irgendwann mit ihren Eltern weg.

 

Was wohl aus ihr geworden ist...?

 

 

Die Anfangszeit in der neuen Schule war aber sehr schön und ich war total stolz darauf, etwas erreicht zu haben...

 

 

Das war meine Realschule. 2013 gab es dort eine Überschwemmung wegen Hochwasser.