In guten wie in schlechten Zeiten?

 

Meine erste und einzige echte Beziehung war auch gleichzeitig die zu meinem späteren Mann. Vorher war ich ein zweimal in Jungs aus der Schule verliebt, wo sich aber nichts Näheres ergab und dann war ja noch die Katastrophe mit dem Kollegen... Mir fehlte einfach das Selbstvertrauen und die Jungs wollten eigentlich auch nichts von mir. Außerdem war ich eben eine hässliche, verklemmte Kröte...

 

Wir lernten uns in einer Clique von jungen Leuten kennen, in die mich meine Schwester geschleppt hatte, nachdem sie merkte, dass ich das Desaster mit meinem Kollegen nicht verkraftete. Ich hatte in meiner Freizeit immer nur zu Hause gesessen, mich in den Schlaf geheult und Depressionen geschoben.

 

Ursprünglich war es eine Jugendgruppe der Naturfreunde, die meine Schwester leitete. Inzwischen hatte man sich aber von dort weitestgehend abgenabelt. Sie wollte mich sicher nur auf andere Gedanken bringen, aber von Anfang an dachte ich eigentlich nur an eine Beziehung und Sex zu haben. Ich wollte nicht mehr alleine sein.

 

Wir trafen uns immer Dienstags in der Linde, einer Dorfkneipe mit einer uralten Wirtin, die Rot- und Weißwein zusammenschüttete, wenn man Rosé wollte und wo der etwas merkwürdige Koch, der der ledige Sohn der Wirtin war, sich zu einem an den Tisch setzte. Entweder fuhr ich mit meinem alten, roten Opel Kadett selbst hin, oder ich fuhr mit meiner Schwester und ihrem Mann. Später am Abend gingen wir oft noch für ein paar Getränke oder eine Partie Billard in die Stadt oder eine Bar im Dorf. Manchmal fuhren wir Freitagabends ins Elsass, Flammkuchen oder Knoblauchsteaks essen oder machten am Wochenende zusammen Ausflüge, gingen ins Schwimmbad oder ins Kino.

 

Ich war es nicht gewöhnt, so lange wach zu bleiben und war am nächsten Tag bei der Arbeit regelmäßig hundemüde. Aber endlich gab es so etwas wie Freunde in meinem Leben.

 

Es gab ein paar Pärchen, aber auch Einzelgänger in der Gruppe. Mein späterer Mann schien sehr umgänglich und auch interessiert zu sein. Noch ein Anderer war ein möglicher Kandidat, aber der spielte gerne den Chef. Das konnte ich absolut nicht ausstehen. Allerdings brachte er ziemlich alles in Gang was wir als Gruppe taten.

 

Irgendwann, als klar wurde dass ich ihn nicht wollte, merkte ich, dass zwischen ihm und meiner Schwester etwas im Busch war. Nach und nach kam heraus, dass sie etwas miteinander angefangen hatten und ich war total von den Socken, als sie kurzum meinen Schwager zu Hause rauswarf. Ich hatte immer gedacht, ihre Ehe wäre in Ordnung, außer dass er ab und zu mal etwas über den Durst trank. Sie meinte dann aber, er sei auch schon fremd gegangen. Sie hatten zwei Jungs von damals etwa 15 und 10 Jahren miteinander. Ziemlich schnell zog der Andere bei ihr ein. Unsere Eltern waren zwar wütend auf sie, nahmen es aber mit der Zeit hin.

 

Inzwischen war die Beziehung zwischen meinem Freund und mir gediehen. Unser erster Kuss fand in seinem Auto auf dem Parkplatz unterhalb der Wohnung meiner Schwester statt. Sex hatten wir erst viel später. Von Anfang an war es aber nicht so wie früher, als ich verliebt war. Es war kaum romantisch und auch die Schmetterlinge im Bauch waren träge. Es war eher eine Kopfsache. Ich wollte halt einfach jemanden und die in die ich mich kopfüber verliebte wollten mich leider nie.

 

In der Zoohandlung, in der ich gelernt hatte, musste ich Samstags arbeiten und manchmal auch Sonntagmorgens die Tiere füttern. Mit der Zeit wurde mir alles zu viel und ich wollte auch dem Kollegen, der mich immer noch beschäftigte, aus dem Weg gehen. So bewarb ich mich in der Zoohandlung eines Kaufhauses in der Nähe. Aus heutiger Sicht hatte ich schon damals eindeutige Positivsymptome meiner Erkrankung, was mir alles sehr erschwerte. Zwei Schwestern, die ebenfalls in unserer Clique waren, arbeiteten in der Produktion eines Herstellers von Medizintechnik. So beschloss ich, mich dort nach einem halben Jahr in der anderen Zoohandlung zu bewerben. Ich bekam den Job. Die Arbeitszeit war viel besser, aber der Lohn war etwas geringer. Eigentlich war es schon damals eine Flucht vor dem, was ich glaubte, von meinen Kollegen zu hören. Als psychische Erkrankung erkannte das weder ich noch sonst jemand, weil ich das meiste für mich behielt.

 

Die vier Jahre meines Freundes als Zeitsoldat ( zuletzt StUfz) war vorbei und er fand eine Stelle als Kundendiensttechniker bei einem Haushaltsgerätehersteller. Wir beschlossen, in seiner Wohnung im Haus seiner Eltern zusammenzuziehen. Er baute das „Nest“. Die Hausarbeit machte ich.

 

Ich kam nicht so gut mit seinen Eltern zurecht. Sie sagten nie direkt etwas gegen mich, aber ich hatte immer das Gefühl, nicht zu genügen. Besonders seinem Vater. Heute sehe ich es so, dass dieses Gefühl bei mir schon immer latent so vorhanden war. Es muss also nicht wirklich im Zusammenhang mit seinen Eltern gestanden haben. Als ich später akut krank war, dachte ich eh, nur ein notwendiges Übel für sie zu sein, was ich dann wahrscheinlich auch war..

 

1989 hatte ich das Gefühl, unsere Beziehung auf feste Beine stellen zu müssen, vor allem weil auch unsere besten Freunde im Frühjahr heiraten wollten. Ob wir heiraten würden, entschied sich nicht in einem richtigen Heiratsantrag. Es kam einfach zwischendurch zur Sprache und er meinte das wäre okay, wir könnten im Herbst (1991) heiraten. Mein Frauenarzt hatte gesagt, wenn man lange die Pille genommen hätte, könnte es sehr lange dauern, bis man schwanger wird. Ich setzte sie also vorsorglich schon mal ab und wurde prompt sofort schwanger.

 

Eigentlich hatten wir ja die Hochzeit für Herbst geplant, aber da würde unser Kind zur Welt kommen. Also heirateten wir im April und fuhren dann zusammen mit dem befreundeten Pärchen, die auch gleichzeitig unsere Trauzeugen waren auf Hochzeitsreise auf die Kanaren. Damals war ich im vierten Monat und so konnten wir deshalb nicht alles so genießen, wie wir es gerne hätten. Ich hatte zwischendurch ziemlich Angst, das Kind zu verlieren.

 

Die Hochzeit selbst war meiner Meinung eine Katastrophe. Mein Mann wollte unbedingt kirchlich heiraten und ich machte dann eben mit. Außerdem luden wir alles an Verwandten ein, was die Familie hergab. Mir hätte eine kleine standesamtliche Trauung im engsten Kreis viel besser gefallen. Unser Trauspruch war das übliche „ In guten wie in schlechten Zeiten“... Wenn mein Mann damals schon gewusst hätte, auf was er sich einlässt, hätte er es wahrscheinlich sein lassen... und vielleicht ich auch... Nach der kirchlichen Trauung sang ein Sängerkollege meines Vaters das Ave Maria. Ich hätte mich freuen sollen, aber mir war einfach alles nur zu viel...Anmerken ließ ich es mir natürlich nicht.

 

Ich selbst hatte zu der Zeit kaum Geld. Ich arbeitete zwar, verdiente aber wenig und die Zahlung für die Hochzeitsreise und mein Hochzeitskleid hatten alle Ersparnisse aufgefressen. Ich bat meine Eltern, wenigstens das Hochzeitsessen zu zahlen, was sie dann auch zähneknirschend taten. Das schien mir damals nur gerecht, weil ich von ihnen mein Leben lang außer Essen, Zimmer und dem Musikunterricht kaum mal was außer der Reihe bekommen hatte, ganz zu schweigen von einer Absicherung für den Start ins Leben. Nun heiratete ich in eine Familie ein, wo mehr als bei uns da war und brachte überhaupt nichts mit, worüber ich mich sehr schämte. Wahrscheinlich haben sie das aber nie verstanden.

 

Ich war froh, als die ganze Angelegenheit vorbei war und wir nach Hause konnten. Glücklich zu sein ist sicher anders, aber ich war ja auch vorher nie richtig glücklich gewesen. Es machte also überhaupt keinen Unterschied...

 

Als es dann später mit dem Stimmenhören so massiv wurde, nannten die mich immer eine Hure... Kein Wunder!